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European Transplant and Dialysis Games 2014

16. - 23. August 2014 in Krakau, Polen

geschrieben von Peter Stoetzer, Hamburg


Vor genau 25 Jahren fiel die Mauer in Deutschland. Damit trat auch eine Wende in der Gesinnung der Deutschen untereinander und zum angrenzenden Ausland ein.
Wenngleich ein Sportwettbewerb eigentlich ein unpolitisches Ereignis sein sollte, machte ich bei den diesjährigen 8th European Transplant and Dialysis Sports Championships, die vom 16. bis 23. August 2014 in Krakau stattfanden, ganz ähnliche Beobachtungen.

Polen hat im vergangenen Jahrhundert viel Leid erfahren müssen. Für einen Teil des Leids war Deutschland verantwortlich. Trotz alledem, von einem Nachtragen oder einer unfreundlichen Behandlung der Gäste im Land gab es keine Spur. Die Kontakte zu den Organisatoren, den lokalen Verantwortlichen und bei allen Begegnungen auf der Straße, auf den Sportstätten oder in Gaststätten waren ganz ungezwungen und freundlich. So sehr ohne Vorbehalte und offen für Fremde, dass es diese Vorbemerkung wert ist.
Sportlich und organisatorisch waren es gelungene Spiele. Auch wenn keine Europarekord-Liste erstellt wurde, sahen die Zuschauer großartig kämpfende Sportler, packende Zweikämpfe und gute Ergebnisse.

Die Medaillen in Gold, Silber, Bronze

Die sehr schön gestalteten Medaillen (Author of the medal : Marta Szkiel) stellen rückseitig eine historische Figur, den Reiter Lajkonik, dar. Es waren Fährleute, die 1287 mehr durch Zufall vor allem mit Mut die Stadt Krakau vor einem Tartareneinfall retteten. Danach trugen sie deren Uniformen (man beachte die Organe im Baum).

Zu den Europäischen Spielen hatten sich 350 aktive Teilnehmer gemeldet, davon 30 dialysepflichtig, die anderen Organ-transplantiert. Die meisten von ihnen (70 %) waren Nieren-transplantiert. Die Teilnehmer kamen aus 22 Ländern Europas.
Aus Deutschland kamen 25 Aktive, dazu 6 Begleiter/innen. Trotz unseres im Vergleich zu den Teams aus Polen (Gastland mit 64 Aktiven), Ungarn (Sitz der Europäischen Transplantierten und Dialyse Sport Gemeinschaft mit 58 Aktiven) und Irland (mit 34 Aktiven) kleinen Teams, haben wir mit 13 Gold, 25 Silber und 12 Bronzemedaillen einen soliden 4. Platz in der Nationenwertung erreicht. Da der Anteil an Veteranen und Superveteranen in der deutschen Mannschaft relativ hoch war, diese aber wegen der Vorschrift bei weniger als 3 Teilnehmern von der Altersgruppe herabgestuft wurden (das hieß für sie, gegen 10 bis 19 Jahre jüngere Wettbewerber anzutreten), fehlten einige Medaillen zum 3. Rang. Bei der Schlussfeier wurden die „Oldies“ dann dafür mit einer zusätzlichen Urkunde bedacht.

Alles in allem waren die Sportwettbewerbe gut organisiert und brachten den Teilnehmern viel Spaß. Einige nette Sportszenen sind in dem vor Ort gedrehten Film recht schön anzusehen.

 
Alle Ergebnisse sind hier zu finden --->.

 

    Fotos: Norbert Krütt-Hüning


Warum so weit reisen und sich dann als Dialysepatient oder als Organtransplantierter/in noch bis an die physischen Grenzen zu belasten und zudem in Vorbereitung über Monate trainieren zu müssen? Jeder Teilnehmer hat seine eigene Motivation: Ich will hier ein paar für mich relevante Gründe aufzählen:

  • Sport ist eine der besten Möglichkeiten, die Gesundheit bis ins hohe Alter auch mit Behinderung zu erhalten
  • Es ist die Möglichkeit zu sehen, wo ich im internationalen Vergleich mit meinen Leistungen stehe. Eine mehrjährige Aufzeichnung der eigenen Zeiten oder Weiten geben dann ein klares Bild über Leistungssteigerung oder Leistungsabfall.
  • Es ist eine gute, nicht allzu teure Möglichkeit, Land und Leute Deutschlands (Deutsche Meisterschaften, DM), Europas (EM) und anderer Kontinente (WM) kennen zu lernen.
  • Für jedes ausrichtende Land ergibt sich ein sehr gewünschter Schub für die Bereitschaft zur Organspende. Die Präsenz der Medien und von Honoratioren sowie bekannten Sportlern hilft weiter. In Polen waren dies Przemyslaw Saleta, Weltmeister im Kickboxen, der zudem seiner Tochter eine Niere gespendet hatte, und Grzegorz Sudol, Weltmeister und Olympia Teilnehmer in Gehen.
  • Ich freue mich darauf, Freunde zu treffen, die ich von früheren Spielen her kenne.
  • Last but not least, ich kann international unser Land vertreten und bekannter machen.


Die polnischen Organisatoren hatten für die sozialen Veranstaltungen besonders sehenswerte Orte ausgewählt. Die Eröffnungsveranstaltung fand auf dem malerischen und zugleich größten mittelalterlichen Marktplatz Europas, im Zentrum der Altstadt gelegen, gleich neben der berühmten St. Marien Kirche statt. Auf der eigens dafür errichteten Bühne empfingen Honoratioren der Stadt und der Organisatoren die Sportler und Gäste. Nach den obligatorischen Reden erfreuten polnische Künstler der aktuellen Musikszene mit ihren Darbietungen die Zuschauer und regten diese sogar zum spontanen Tanzen an.
Beeindruckend auch der Auftritt des Turmbläsers, der in sechshundertjähriger Tradition zu jeder vollen Stunde vom Turm St. Marien in alle 4 Himmelsrichtungen bläst. Er bot erst- und einmalig auf einer Bühne das Traditionsstück dar, bevor er wieder hinauf auf den Turm musste.
Die Schluss-Veranstaltung ließ uns einen ganz ausgefallenen Ort genießen: Die Gala fand 45 Stockwerke unter der Erde in einem Salzbergwerk statt. Ungeachtet der Möglichkeit, den Lift zu benutzen, ließen die meisten Teilnehmer es sich nicht nehmen, die vielen engen Stufen bis zum Festsaal zu Fuß hinabzusteigen. Selbst unsere Familie mit Kinderwagen konnte den Abstieg mit Hilfe der ganzen Mannschaft auch ohne Lift abwärts bewältigen. Der Abstieg vermittelte den Teilnehmern eine Vorstellung der gewaltigen körperlichen Anstrengungen, die mit der Tätigkeit im Salzabbau verbunden waren. Die Herabbringung des ganzen Holzes für die Abstützung, der 160 km Schienen für die Loren, der tägliche Abstieg, und dann in entgegengesetzter Richtung das Heraufbringen der etwa Bierfass großen, runden und damit rollbaren Salzkörper sowie der tägliche Aufstieg erforderten den Einsatz aller Kräfte der Bergleute. Die anschließende Besichtigung dieses sehr alten Salzbergwerks mit seinen Darstellungen historischer Arbeitsszenen, die Statuen katholischer Würdenträger, u.a. des ersten polnischen Papstes Johannes Paul II, Karol Józef Wojtyła, und vom amtierenden Papst Franziskus, Jorge Mario Bergoglio, in Salz gemeißelt, die zwei aktiven Andachtskapellen und die vielen halbplastischen Friese im Salzstock unter Tage waren äußerst beeindruckend.
Das folgende köstliche Abendessen in dem großen 160m unter der Erde gelegenen Festsaal entschädigte uns restlos für die Mühsal des Abstiegs.

Vor 25 Jahren fiel die Mauer zwischen Deutschland, so schrieb ich im Vorwort. Meine wichtigste Erfahrung bei der EM in Polen war, dass uns auch hier keine Mauer trennte. Es ist wichtig, so beklemmende Besichtigungen in die Vergangenheit wie Auschwitz, Birkenau und Schindlers Fabrik einzuschließen, um das unermessliche Leid, das geschah, zu erkennen. Die Touren dahin und vor Ort waren sehr gut organisiert, international stark besucht und inhaltlich gut dargeboten, aber eben sehr beklemmend.
Indessen, und das ist eine weitere erfreuliche Erfahrung, Polen hat die Nachkriegszeit, die Mitgliedschaft in der EU genutzt, eine gute, nicht übertriebene Infrastruktur aufzubauen und allen Gästen ein guter Gastgeber zu sein.
(Der Beitrag wurde der Info 167 der Nieren Selbsthilfe Hamburg e.V. entnommen.)