Nach der Organentnahme muss alles sehr schnell gehen. Auch wenn die Lunge mit einer kühlen, konservierenden Flüssigkeit gespült wird, bleiben dem Transplantationsteam nur sechs bis acht Stunden, um sie auf den Empfänger zu übertragen. Wie gut dieser dann das neue Organ annimmt – unterstützt durch Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken –, entscheidet darüber, wie lange es funktionstüchtig bleibt.
Immunzellen, die als blinde Passagiere mit dem gespendeten Organ in den Körper des Empfängers gelangen, galten bisher meist als Gefahr. Denn sie könnten das Gewebe des Empfängers angreifen oder die Aufmerksamkeit der Immunabwehr auf sich ziehen und damit eine Abstossung des neuen Organs befördern.
Für eine Gruppe von neu entdeckten Immunzellen scheint das Gegenteil zuzutreffen. So sollen Gedächtnis-T-Zellen des Spenders, die standorttreu in verschiedenen Geweben des Körpers ausharren (sogenannte Tissue-Resident Memory T Cells), als Vermittler helfen, damit der Körper das fremde Organ auf lange Sicht besser toleriert. Dafür haben jedenfalls Mark Snyder und seine Kollegen von der Columbia University in New York vor kurzem Hinweise gefunden. Bei ihren Lungentransplantierten kam es dann seltener zur Abstossung, wenn besonders viele solcher «Immunpassagiere» im übertragenen Organ enthalten waren.1
Chronisches Transplantatversagen
Organe sind knapp, die Wartelisten lang, und wenn es mit der Transplantation endlich geklappt hat, droht durch Infektionen oder chronische Abstossungsreaktionen der Verlust des neuen Organs. Während Ärzte in der akuten Phase nach der Operation die Abstossung durch eine hochdosierte Gabe von Immunsuppressiva recht gut in Schach halten können, bereiten über lange Sicht unterschwellige, aber chronische Immunreaktionen gegen das gespendete Organ Schwierigkeiten.
«Andauernde Entzündungen, die mit den Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen sind, führen zu Vernarbungen, wodurch das gespendete Organ nicht mehr so gut durchblutet ist und immer schlechter funktioniert», sagt Volker Daniel, Transplantationsimmunologe am Universitätsklinikum Heidelberg. Das betreffe nicht nur die Lunge, sondern nach 10, 15 oder 20 Jahren alle gespendeten Organe.
Doch die Lunge, die wegen ihrer riesigen Kontaktfläche zur Umwelt mit einem eigenen Immunschutz ausgestattet ist, reagiert besonders empfindlich. Daher ist die Überlebensdauer von Lungentransplantierten auch gut 35 Jahre nach der weltweit ersten erfolgreichen Übertragung im Durchschnitt auf rund sechs Jahre begrenzt. Hauptgrund für den Misserfolg: chronisches Transplantatversagen.
Rolle der Spender-Immunzellen
Für ihre jüngste Studie untersuchten Mark Snyder und seine New Yorker Kollegen bei 20 lungentransplantierten Männern und Frauen alle drei Monate Blutproben und Proben von Lungenspülungen. Während im Blut die Spender-Immunzellen nach dem Eingriff rasch verschwanden, waren im Lungengewebe bei 13 der Patienten noch über ein Jahr danach «mitgereiste» Spender-Immunzellen nachweisbar. Maximal stammten 85 Prozent der in der Lungenspülung gewonnenen T-Zellen (im Durchschnitt rund 9000 Zellen) vom Spender.
Diese langlebigen Gedächtnis-T-Zellen entstehen beispielsweise nach einem überstandenen Infekt oder einer Impfung und bilden eine wichtige Säule der Immunität gegen einen Krankheitserreger. Sie können viele Jahre in der Lunge oder anderen Geweben des Körpers überdauern, um dann bei einem erneuten Kontakt mit dem Bakterium oder Virus sofort aktiv zu werden und den Eindringling abzuwehren.
Offenbar wirken sich diese mitgelieferten Immunzellen auch positiv auf das Überleben des Organs in seiner neuen Umgebung aus. Denn bei den Patienten mit besonders vielen Spender-Gedächtniszellen im Lungengewebe fand Snyders Forschungsgruppe im Beobachtungszeitraum (bis 15 Monate nach der Transplantation) keine Anzeichen für Angriffe des Empfänger-Immunsystems auf die neue Lunge – bei den sieben Patienten mit wenigen Spender-Immunzellen traten dagegen mehr oder weniger häufig Episoden von akuter Abstossung auf. Nach und nach bevölkerten zwar auch Immun-Gedächtniszellen des Empfängers die Lunge. Diese schienen aber nicht so funktionstüchtig wie die mitgelieferten Immunzellen, die zum Teil andere Aktivitätsmarker auf ihrer Oberfläche trugen.
Die New Yorker Forscher können zwar nur einen Zusammenhang zwischen der Anwesenheit der Spender-Immunzellen und dem Transplantationserfolg herstellen. Philipp Beckhove vom Regensburger Centrum für Interventionelle Immunologie hält es aber durchaus für möglich, dass die «mitgereisten» Spender-Immunzellen auch ursächlich zum Transplantationserfolg beitragen: «Die Gedächtniszellen könnten die transplantierte Lunge vor Infektionen schützen, Entzündungen entgegenwirken oder auch zur Wundheilung beitragen.» Möglicherweise träten die Spender-Immunzellen auch direkt mit den Abwehrzellen des Empfängers in Kontakt und bewirkten, dass diese sich «ruhig» verhielten und das fremde Lungengewebe nicht angriffen.
Zankapfel Mikrochimärismus
Bereits vor über zwanzig Jahren stellte der amerikanische Transplantationspionier Thomas Starzl – ihm gelang 1967 die erste erfolgreiche Lebertransplantation – eine bis heute diskutierte Hypothese auf: Demnach ist es für das langfristige Überleben eines Transplantats notwendig, dass die mit dem Organ übertragenen Spender-Immunzellen Bestandteil des immunologischen Netzwerkes des Empfängers werden.
Starzl hatte gewisse Immunzellen des Spenders nach einer Lebertransplantation in der Lunge, im Darm, in der Haut und im Thymus des Empfängers entdeckt. Dieses als Mikrochimärismus bezeichnete Phänomen sorgt laut Starzl dafür, dass beim transplantierten Patienten das Immunsystem in einer Balance gehalten wird. Das heisst, die Immunzellen der beiden Lager tolerieren sich und das jeweils fremde Gewebe. Deshalb komme es weder zu einer Reaktion «Empfänger versus Transplantat» noch zu einer solchen «Transplantat versus Empfänger».2
Auch heute noch gebe es unter den Wissenschaftern zwei Lager, sagt der Heidelberger Transplantationsimmunologe Daniel. Diejenigen, die wie Starzl davon ausgingen, Mikrochimärismus sei die Grundlage dafür, dass sich eine Immuntoleranz gegenüber dem gespendeten Organ ausbilde. Und die Kritiker, die im Auftreten von Spender-Immunzellen im Körper des Empfängers nicht die Ursache, sondern die Folge einer insgesamt verminderten Reaktion des Empfängers auf alle fremden Zellen sehen.
Bei den Bestrebungen, nach einer Transplantation ein möglichst friedliches Miteinander zwischen der Immunabwehr und dem gespendeten Organ hinzubekommen, gehen Forscher weltweit sehr unterschiedliche Wege. Bei einem experimentellen Ansatz von Forschern der Stanford University und des Universitätsspitals Zürich werden bei einer Nierentransplantation nicht nur die Niere, sondern auch Blutstammzellen des Spenders übertragen. Dabei bildet sich ein chimäres Immunsystem heraus, das keinen Unterschied mehr «sehen» kann zwischen körpereigenem und gespendetem, eigentlich fremdem Gewebe. Wegen des erhöhten Risikos, das mit einer Transplantation von Blutstammzellen verbunden ist, ist diese Methode aber bis jetzt kein Weg für den klinischen Alltag, sondern nur in Ausnahmefällen sinnvoll.
Suche nach dem idealen Spender
Volker Daniel setzt deshalb auf die Ähnlichkeit. «Je ähnlicher sich Spender und Empfänger von ihren Gewebemerkmalen her sind, desto niedriger ist das Risiko der Abstossung», sagt er. Um einen solchen idealen Spender zu finden, brauche es bei der Niere derzeit rund acht Jahre. So viel Zeit habe man bei Patienten mit schweren Herz- oder Lungenerkrankungen, bei denen die Transplantation oft der einzige Ausweg sei, aber nicht.
Um das erhöhte Risiko einer Abstossung hier zu verringern, versucht Daniel, wie auch sein Kollege Beckhove in Regensburg, eine Gruppe von Immunzellen des Empfängers mit ins Boot zu holen, die eine vermittelnde Funktion zwischen «fremd» und «selbst» übernehmen. Diese regulatorischen T-Zellen (Treg) können andere Immunzellen daran hindern, das Spendergewebe anzugreifen. Sie sind zum Beispiel auch während einer Schwangerschaft aktiv, wenn es für die mütterliche Immunabwehr gilt, das zur Hälfte mit fremden Merkmalen ausgestattete Kind zu tolerieren. Nach einer erfolgreich abgewehrten Infektion helfen sie, die Immunzellen wieder herunterzufahren, damit das körpereigene Gewebe keinen Schaden nimmt.
Die Aktivität und die Anzahl der Treg-Zellen lassen sich mit bestimmten Medikamenten wie Rapamycin und Everolimus steigern. Manche Forscher versuchen im Rahmen einer Transplantation auch, die Treg des Empfängers zuvor im Labor zu vermehren und sie dann in den Körper zurückzugeben. Damit will man Abstossungsreaktionen blockieren und Immunsuppressiva einsparen. Wie und ob sogar die neu in den Blick gerückten ortsansässigen Gedächtniszellen Kooperationspartner für die Treg-Zellen sind, ist noch völlig unklar. Sollten sie eine wichtige Rolle spielen, liesse sich ihr Nutzen möglicherweise noch therapeutisch steigern.
Trotz den vielen Forschungsfortschritten der letzten Jahre bleiben in der Transplantationsmedizin Erfolg und Niederlage nahe beieinander. Während viele Patienten dank einem neuen Organ in guter Verfassung weiterleben können, wird bei anderen die Lebensqualität durch immunologische Komplikationen und medikamentenbedingte Nebenwirkungen getrübt. Bei all den vielschichtigen Aktionen des Immunsystems, dessen Aufgabe es nun einmal ist, den Körper vor allem Fremden zu schützen, ist zu befürchten, dass es bei der Behandlung nicht mehr viel Spielraum nach oben gibt, um das Langzeitüberleben eines fremden Organs weiter zu steigern.
Ärzte der Medizinischen Hochschule Hannover kamen denn auch vor drei Jahren in einem Vorwort zu einer Reihe von Übersichtsartikeln zum Thema zu einer ernüchternden Schlussfolgerung: «Bei all ihrer Attraktivität und Leuchtturmfunktion beschreibt die Transplantationsmedizin langfristig eine Übergangsperiode», so die Experten. Ziel müsse die Entwicklung eines aus körpereigenem Gewebe gezüchteten Organersatzes sein.3 Weil auch dieses Ziel nicht so schnell erreicht sein wird, dürfte die Übergangsphase mit Organtransplantation wohl noch etliche Jahre andauern.
1 Science Immunology, Online-Veröffentlichung vom 8. März 2019; 2 Hepatology 17, 1127–52 (1993); 3 Der Internist 57, 5–6 (2016).
Quelle:
https://www.nzz.ch/wissenschaft/transplantation-blinde-passagiere-stimmen-die-abwehr-milde-ld.1480577
2019-05-17